Formen von Prestige in Kulturen des Altertums
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Paola Paoletti

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Paola Paoletti (Assyriologie)

Der König und sein Kreis: das staatliche Schatzarchiv der III. Dynastie von Ur

Ein besonderes Merkmal der schriftlichen Überlieferung Mesopotamiens ist die enorme Anzahl von erhaltenen Alltagsdokumenten. Aus der Zeit der III. Dynastie von Ur (21. Jh. v.C.) sind allein etwa 60.000 publizierte Verwaltungsurkunden erhalten.

Die Ur III-Urkunden stammen zum größten Teil aus staatlichen oder Provinz-Archiven im Süden Mesopotamiens. Diese Texte sind Sumerisch geschrieben. Unter den altmesopotamischen administrativen Urkunden nimmt das Schatzarchiv von Drehim in kulturgeschichtlicher Hinsicht einen wichtigen und in gesellschaftlicher Hinsicht einen ganz zentralen Platz ein.

Zum Textmaterial des Schatzarchivs, das vor etwa 30 Jahren erkannt und zum ersten Mal beschrieben wurde, liegen nur wenige kürzere Publikationen vor, dazu kommen einige rezente zusammenfassende Darstellungen. Während das größte Verwaltungsarchiv von Drehim Belange der staatlichen Viehhaltung umfasst, sind Preziosen - darunter Gegenstände aus Edelmetallen, Waffen und Mobiliar - Gegenstand des Schatzarchives.

Grundlage der Dissertation ist eine gründliche Textbearbeitung der zum Archiv gehörenden Urkunden (etwa 200 Urkunden publiziert, davon 60 nur in Umschrift, dazu kommen unpublizierte Urkunden). Wie bei jedem Archiv sind die zwei Grundtypen von Urkunden Einlieferungen von Gütern in die Institution (Rohmaterial und damit der Institution zur Verfügung stehendes Guthaben) und Ausgaben (Fertigprodukte).

Das eingelieferte Rohmaterial, insbesondere Edelmetall, stammt womöglich aus Abgaben von Personen (evtl. als Vertreter von Institutionen), oder es war Beute von Kriegszügen, Tribut oder zerbrochenes Gerät zur Wiederverwertung. Abgaben von Personen womöglich in Form einer Steuer spielen für das System von Silberumlauf in der altmesopotamischen Gesellschaft eine wichtige Rolle. Die Ausgaben lassen sich einfach in kultische Ausgaben an Götter und weltliche an Personen unterteilen. Es handelt sich bei der ersten Gruppe um Weihgeschenke meist des Königs an die Götter. Die Ausgaben an Personen werden oft explizit als "Geschenke" (nig2-ba) bezeichnet. In den Ausgabedokumenten kann einzig das übergebene Objekt und der jeweilige Empfänger, oft ein Mitglied der höchsten Gesellschaftsschicht, genannt sein, oft wird auch der Anlass der Übergabe vermerkt.

Als Ausgaben des staatlichen Schatzarchives handelt es sich letztlich um Schenkungen des Königs, auch wenn dieser vielleicht nicht jedes persönlich anordnen kann. Mögen also manche Abgaben im Schatzarchiv durchaus in regelmäßigen Abständen fällig sein, so sind die Ausgaben, Geschenke und Weihungen, immer einmalige, bewusste Akte, nicht regelmäßige Zuteilungen.

Neben diesem wirtschaftlichen Aspekt der Wiederverteilung von Gütern ist mit den Geschenken auch eine politische und soziale Funktion verbunden. Der König vergibt diplomatische Geschenke an ausländische Gesandte, die wohl mit Gegengeschenken vergolten werden; der diplomatische Geschenkaustausch kann einen Höhepunkt in einer dynastischen Heirat finden und bildet wohl in der Praxis die Grundlage einer funktionierenden friedlichen Nachbarschaft zwischen dem Reich von Ur III und einem Teil der Nachbarländer.

In großem Umfang verteilt der König Geschenke an seine Gefolgsleute. Es sind diese Ehrengeschenke, die den König der Zuneigung der Empfänger, Verwandten und Träger der höchsten Ämter versichern; sie können aber auch Ausdruck des Mitgefühls bei Krankheit oder Belohnungen für besondere Taten darstellen.

Vergleichbare Ausgaben sind nicht auf das Reich von Ur III beschränkt. Es lassen sich zahlreiche Beispiele aus anderen Zeiten und anderen Städten finden, wie z.B. die Archive der Paläste in Ebla (ca. 24. Jhdt.) und in Mari (erste Hälfte des II. Jtsd.) belegen. Da das Schlachtvieh auch ein Luxusgut ist, sind die Ausgaben des Schatzarchivs auch mit denen des Vieharchivs derselben Stadt zu vergleichen. Damit kann die Untersuchung auf eine breitere Basis gestellt werden. Mit diesen Geschenken wird die königliche Klientel belohnt und ihre Loyalität dem Königshaus gegenüber gestärkt. Die innenpolitisch zentrale Bedeutung der in den Ausgabeurkunden des Schatzarchives dokumentierten Geschenke kann daher kaum hoch genug eingeschätzt werden. Die Präsenz ausländischer Gesandter und Eliten des Reiches von Ur lässt die Texte des Schatzarchives auch zu einer wichtigen historischen Quelle werden; die Personen des königlichen Kreises und die Handlungsweisen des Hofes werden entscheidend durch die häufige Angabe des Anlasses gekennzeichnet.

Die systematische Analyse des Urkundenmaterials aus dem Schatzarchiv von Drehim stellt einen wichtigen Beitrag zur Kenntnis der gesellschaftlichen und politischen Interaktion im Reich von der III. Dynastie von Ur dar.