Formen von Prestige in Kulturen des Altertums
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Illya Vorontsov

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Illya Vorontsov (Assyriologie)

Der aluzinnu-Text und dessen soziokosmologische Bezüge

Der aluzinnu-Text ist eine akkadischsprachige Komposition, in welcher sich - mit inversionskodierten Inhalten beladen – verschiedene Formen des altmesopotamischen Schrifttums kombinieren. Unter Verwendung von literarischen Gattungen wie Götterliste, Liebeslyrik, Vorzeichensatz, Ritual- und Essvorschrift unterzieht dieses Werk einer krassen Umgestaltung die uralten Verbindungen zwischen Göttern und Städten, besingt Gefräßigkeit, Hinterlist und Tabubruch, verspottet verschiedene Berufe und verschreibt abscheuliche Speisen.

Im Rahmen der Arbeit soll eine Neuedition des aluzinnu-Textes erfolgen. Ein ausführlicher philologischer Kommentar wird unter Berücksichtigung von altmesopotamischen Methoden der Textformulierung und Exegese die sprachlich-semiotischen Mechanismen und die intertextuellen Bezüge erläutern, welche die Gestalt des aluzinnu-Textes bestimmen. Zu klären ist die gesellschaftliche Signifikanz des Werkes. Die Analyse des aluzinnu-Textes führt zum Schluß, daß trotz des Eindrucks einer vulgären Burleske, den manche seiner Passagen hinterlassen, dieses Werk ein raffiniertes Produkt der altmesopotamischen Gelehrtentradition darstellt. Neben der virtuosen Beherrschung der keilschriftlichen Polyvalenz zur Kreierung von komplexen Text-Strukturen manifestieren sich darin verschiedene Arten von Spezialwissen wie die Kenntnis von lexikalischen Listen und des kultischen Dialektes der sumerischen Sprache. Hier liegt ein Entwurf vor, welcher vom Bestreben beherrscht wird, alle Bereiche des Lebens zu umfassen und durch Anlage von mehreren Verständnisebenen und paradoxe Vereinigung von Gegensätzen das gnoseologisch-ontologische Schema des Kosmos zu vermitteln. Die Eigenschaften des aluzinnu-Textes wie sein übergreifender Systembezug und sein Verhältnis zur Phänomen von Kraft legen es nahe, das Werk mit dem Trickster-Mythologem zu korrelieren und es schon aufgrund dieses Zusammenhanges dem Bereich der Religion zuzuweisen.

Die kultische Betätigung des Komödianten aluzinnu, die Verwurzelung in der palastnahen Gelehrtentradition, die Nähe zu den im Marduk-Kult verorteten ´Divine Love Lyrics´ sowie der Bezug zur Welt und Macht definieren den aluzinnu-Text mit aller Wahrscheinlichkeit als eine Schrift zu einer im Rahmen des Staatskultes aufzuführenden Komödie. Als eine krafterfüllte Artikulation der ´verkehrten Welt´ spielte der aluzinnu-Text eine ordnungs- und damit auch prestigestiftende Rolle. Die Problematik von Prestige wird in der Komposition unter anderem in Form von persiflierenden Monologen angesprochen, welche das Verhältnis von Leistung und gesellschaftlicher Rolle zueinander thematisieren. Wie schon seine erste Phrase, die an eine (mythische?) Frauengestalt gerichtete Aufforderung „Lebe!“ zeigt, hatte der Text dabei eine aktivierende Wirkung zu entfalten.