Formen von Prestige in Kulturen des Altertums
print

Links und Funktionen

Navigationspfad


Inhaltsbereich

Armin Selbitschka

Kontakt


Armin Selbitschka (Sinologie)

Vermittlung von Prestigegütern entlang der ‚Seidenstraße' etwa im Zeitraum vom 2. bis 5. Jahrhundert nach Christus

In den gegenwärtig bekannten archäologischen Funden und Befunden tritt uns das ehemalige Ostturkestan [das heutige Autonome Gebiet Xinjiang-Uigur (Xinjiang Weiwuer Zizhiqu)] als "Drehkreuz" der interkontinentalen Handelswege gegenüber. Zahlreiche Siedlungs- und Grabfunde zeugen davon, daß vielerorts neben autochthonen Traditionen auch "fremde" Waren im damaligen Sozialgefüge eine bedeutende Rolle spielten. So illustrieren noch heute einige reich ausgestattete Gräber eindrucksvoll, daß man damals in diesem, aus chinesischer Sicht geographischem, sozialem und kulturellem Randgebiet durchaus zu hohem Ansehen gelangen konnte. Bronze- und eisenzeitliche Grabstätten fördern stellenweise sehr zahlreiche Gold- und Silberfunde, wertvolle chinesische Bronzespiegel und Lackgefäße, gläserne Becher, Achat- und Lapislazuli-Perlen, sowie aus Korallen gefertigte Objekte zutage. Diese kostbaren Fundstücke deuten einerseits weit über die Grenzen der damaligen chinesischen Kerngebiete reichende, wenigstens sekundäre Kontakte an. Andererseits verdeutlichen sie noch in unserer Zeit, daß die Verstorbenen ihre zu Lebzeiten erlangten gesellschaftlichen Positionen auch nach ihrem Ableben hervorheben wollten. In diesem Zusammenhang ist unbedingt auch das Gewebe zu sehen, welches nach Ferdinand Freiherr von Richthofen (1877) den Verkehrsrouten seinen heute bekannten Namen gab: die Seide. Vergleichsweise viele der in die ersten vier nachchristlichen Jahrhunderte einzuordnenden Bestattungen brachten gut bis sehr gut erhaltene Seiden- und Brokatstoffe hervor. Sie lassen nicht nur wegen ihrer vorzüglichen Qualität und ihrer schon in den chinesischen Kerngebieten sehr hohen Wertschätzung auf das Prestige des bzw. der Grabherren schließen, sondern weisen durch eingewobene chinesische Schriftzeichenkombinationen mit teilweise politischen Inhalten auch eindeutig darauf hin!

Der gegenwärtige Forschungsstand, nur wenige der zahlreichen untersuchten Gräberfelder Xinjiangs sind bisher publiziert, erlaubt umfassendere Untersuchungen der Nekropole von Yingpan (der Fundort liegt ca. 200 km westlich der "Ruinen" von Loulan am Lopnor-See (chin. Luobu po) und des etwas bekannteren Friedhofs von Niya bei Khotan (chin. Hetian). An beiden Fundstellen traten neben dem "normalen" Fundgut (Eßgeschirr, Handwerksgerät etc.) eine Vielzahl der oben erwähnten Kostbarkeiten zutage. Ausgehend von diesen Objekten soll im Rahmen dieses Graduiertenkollegs der Austausch von sog. "Prestigegütern" entlang der antiken "Seidenstraße" nachgezeichnet und ihre Bedeutung für den Status der jeweiligen Verstorbenen innerhalb des damaligen Sozialgefüges bewertet werden. Um dies überhaupt umsetzen zu können, ist es freilich notwendig, sich dem Begriff "Prestige" bzw. "Prestigegüter" auch aus einem soziologischem Blickwinkel anzunähern und die weniger reich ausgestatteten Gräber in die Betrachtung miteinzubeziehen.
Als sinologischem Dissertationsvorhaben steht dabei besonders das chinesische Kernland und die damit in Verbindung zu bringenden Waren (z.B. Lackobjekte, Seidengewebe oder Bronzespiegel), und die Frage nach der Beziehung der ehemaligen Bevölkerung dieser "Randzone" zum chinesischen Reich im Vordergrund. Das komplexe Themengebiet wirft in diesem Kontext noch eine Reihe weiterer Fragestellungen auf: inwieweit gelangte wenigstens ein Teil der wertvollen Artefakte im Rahmen gegenseitiger "Tributbeziehungen" ins heutige Xinjiang? Wann hielten sie dort Einzug? Daneben ist auch die Herkunft ihrer Besitzer/Empfänger von großem Interesse. Handelte es sich bei ihnen etwa um Han-Chinesen (chin. hanren, die möglicherweise einen Teil ihrer Kultur in die Peripherie brachten, um sich dadurch von den lokalen Traditionen abzuheben, oder liegt in den heute bekannten Nekropolen die einstige einheimische soziale/politische Elite bestattet, welche ihren Status mitunter durch fremde Luxusgüter definierte? Ebensogut könnte es sich um reiche Händler jedweder Abstammung handeln, die hier ihre letzte Ruhe fanden!

Es gilt diese und andere, sich im Laufe der Untersuchungen ausbildenden Problemstellungen und Einzelaspekte (wie etwa auch die Genese der nicht-chinesischen Güter!) auf der Basis der archäologischen Funde und Befunde kritisch zu betrachten und entsprechend zu beurteilen. Die Dissertationsarbeit soll am Beispiel der "Vermittlung von Prestigegütern entlang der ‚Seidenstraße' etwa im Zeitraum vom 2. bis 5. Jahrhundert nach Christus" helfen zu definieren, was man sich zu dieser Zeit in dieser Region unter Prestigegütern vorzustellen hat, wer sie besaß und welche Funktion sie innerhalb der jeweiligen (Lokal)-Gesellschaften erfüllten.

Einführende Literatur zum Thema (in westlicher Sprache):

  • Barber, Elizabeth Wayland, The Mummies of Ürümchi. Basingstoki, Oxford: Pan Books, 2000.
  • Mallory, J.P, Mair Victor H., The Tarim Mummies. Ancient China and the Mystery of the Earliest Peoples from the West. London: Thames & Hudson Ltd., 2000.
  • Zhao Feng, Yu Zhiyong, Shamo Wangzi Yibao - Legacy of the Desert King. Hangzhou: China National Silk Museum, The Xinjiang Institute of Archaeology, 2000.
  • Zhou Yanqun, "Exhibition Review: Archaeological Treasures on the Silk Road in Xinjiang Uighur Autonomous Region, Shanghai Museum, 1 April - 15 October 1998". In: Orientations 29.4 (April 1998), 64-66.