Formen von Prestige in Kulturen des Altertums
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Alexa Bartelmus

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Alexa Bartelmus (Assyriologie)

Das Sumerische in der Kassitenzeit

Sumerisch, die Sprache, in der nach heutigem Kenntnisstand die ersten Keilschrifttexte geschrieben wurden, wurde auch nach dem Aussterben der letzten sumerischen Muttersprachler (wohl zu Beginn des 2. Jahrtausends v. Chr.) noch ca. 2000 weitere Jahre lang - v.a. in literarischem und kultischem Kontext - tradiert und ist die älteste bezeugte Literatursprache der Welt. Daß das Sumerische diesen langen Zeitraum überlebte, ist mit Sicherheit dem hohen Prestige zu verdanken, dessen sich diese Sprache besonders in Babylonien erfreute und welches ihr trotz des Schwindens ihrer letzten Muttersprachler, trotz Dynastiewechseln und Fremdherrschaften stets ihre Bedeutung als traditionelle Sprache bestimmter Textgattungen und damit auch einen Platz im Schulcurriculum und in der lexikalischen Tradition sicherte.

Eine Schlüsselposition nimmt dabei die lange, stabile Herrschaft der Kassitendynastie (ca. 1595-1155 v. Chr.) ein, unter der Babylonien eine Blütezeit des Handels und eine enorme Erweiterung der internationalen Beziehungen erlebte: durch dynastische Heiraten wurde der Frieden gesichert und es fand ein reger Austausch von Handelsgütern wie Gold, Edelsteinen und Pferden mit den benachbarten Großreichen Ägypten, Elam, Mitanni, Hatti und Assur statt. Die Kassitenkönige waren Fremdherrscher (aus einem nomadischen Stammesvolk unbekannter Herkunft), paßten sich jedoch nahezu vollkommen an die kulturellen Gepflogenheiten und Traditionen ihres neuen Landes an. So übernahmen sie etwa das zu der Zeit in Babylonien gebräuchliche Akkadisch (=Mittelbabylonisch) als Verwaltungs- und Korrespondenzsprache, sowie - zumindest zu der Zeit, aus der authentische Königsinschriften bekannt sind (ca. 1400-1155 v. Chr.) - Sumerisch als nahezu exklusive Sprache ihrer Bau- und vieler Weihinschriften. Letzteres ist insofern bemerkenswert, als sich in der vorhergehenden (spät)altbabylonischen Epoche die Tendenz abzeichnet, zunehmend häufiger auch akkadische Königsinschriften zu verfassen. Offensichtlich betrachteten die kassitischen Herrscher das Sumerische als altehrwürdige, ihren Inschriften angemessene Sprache und benutzten deren traditionelles Prestige vielleicht auch als Nachweis ihrer legitimen Herrschaft. Andererseits dürfte die Wertschätzung seitens der Könige nicht unerheblich für das Ansehen und damit auch den weiteren Gebrauch des Sumerischen in der kassitischen Epoche gewesen sein. Möglicherweise hat sie sogar mit dazu beigetragen, daß auch andere sumerische Texte weiterhin tradiert und - in Verbindung mit den entsprechenden lexikalischen und grammatikalischen Grundlagen - an Schreiberschulen gelehrt wurden. Hierzu gehören vor allem literarische Kompositionen, die schon aus der altbabylonischen Zeit und meist auch (in zweisprachiger Fassung) aus dem 1. Jahrtausend v. Chr. bekannt sind. Leider reicht das vorhandene Material noch bei weitem nicht aus, um eine umfassende Studie zur Überlieferungsgeschichte der betreffenden Texte vorzunehmen, jedoch sind z.B. die vorhandenen Beispiele aus Nippur ein wichtiges Bindeglied zwischen der vorhergehenden und den nachfolgenden Epochen. Ihre Ähnlichkeit mit den entsprechenden Texten der altbabylonischen Zeit zeigt, daß das betreffende Schulcurriculum darauf abzielte, Vorbilder so getreu als möglich zu bewahren und weiterzugeben.

Diese Konservativität hinderte die Kassiten jedoch nicht daran, auch eigene Texte (z.B. Gebetsinschriften, manche Königsinschriften) Wort für Wort ins Sumerische zu übersetzen, so daß sie oft nur mit guter Kenntnis der ihnen zugrundeliegenden akkadischen Grammatik überhaupt noch verständlich sind. Es zeigt den hohen Stellenwert des Sumerischen in dieser Epoche, daß die Kassiten einerseits versuchten, traditionelle sumerische Textgattungen möglichst getreu zu bewahren, und andererseits selbst mit dieser Sprache experimentierten, indem sie neue "sumerische" Texte schufen, die jedoch aufgrund des Mangels an entsprechenden sumerischen Formularen logischerweise nicht mehr als eine wörtliche Übersetzung aus dem Akkadischen sein konnten. In diesem Zusammenhang entstanden Neudeutungen von sumerischen Wörtern und grammatikalischen Elementen, die ihrerseits wohl wieder Eingang ins Schulcurriculum fanden. Die umfangreichen zweisprachigen lexikalischen Listen und das oft bis zur Unkenntlichkeit entstellte Sumerisch mancher Bilinguen des 1. Jahrtausends v. Chr. stehen am Ende dieser Entwicklung.

Das Sumerische in der Kassitenzeit ist daher nicht nur als Sprache, sondern auch als kulturelles Phänomen von großem Interesse und soll im Rahmen meiner Dissertation umfassend untersucht werden.